Menü
Hammel_H_Winzer-in-Weinberg
Auf ein Wort – Christoph Hammel mischt die Weinszene auf

Eigentlich wollte Christoph Hammel Theaterwissenschaften studieren. Wie gut, dass sein Vater ihm das untersagt hat und er stattdessen Winzer wurde – der Weinbranche würde ein begnadeter Weinmacher und Entertainer fehlen.

„Ich hätte mir zu Beginn meiner Ausbildung einfach nicht vorstellen können, dass mich das Winzerdasein heute so glücklich macht“, erzählt Christoph Hammel und streicht sich gedankenverloren mit beiden Händen seitlich über den Bart. Der ist so etwas wie das Markenzeichen des extrovertierten Pfälzers, den viele aus den Social Media kennen und der sicher zu den meistfotografierten Personen der Weinszene zählt.

"Ich war unglücklich bis zum Gehtnichtmehr"

Christoph Hammel führt das 1723 gegründete Familienweingut gemeinsam mit seinem Bruder Martin, der sich um die Finanzen kümmert. Dessen Sohn Markus steht auch schon in den Startlöchern. Derzeit studiert er noch am Weincampus Neustadt, hat aber nur noch ein Jahr Studium vor sich. Klar, dass er sich danach noch ein bisschen in der Weinwelt umsehen möchte – vielleicht geht’s nach Österreich oder nach Neuseeland -, aber dann wird er ins Weingut einsteigen. Die Erbfolge ist also gesichert.

Dabei hätte es in den 80ern fast eine Unterbrechung gegeben: „Du gehst nach Klosterneuburg! Punkt!“, entschied sein Vater für den damals 17-Jährigen, weil er in Bordeaux den Schulleiter der Lehranstalt unweit von Wien kennengelernt hat. Ein Kriegsveteran wie er selbst, mit ähnlichen Erfahrungen und Überzeugungen, der ihm imponierte. Christoph Hammel wurde also mit 17 Jahren nach Wien geschickt, um Weinbau in Klosterneuburg zu studieren. „Ich war unglücklich bis zum Gehtnichtmehr“, berichtet er und sucht Rat bei dem Realschulleiter seiner früheren Schule. Der wusste von der Theaterbegeisterung seines Schützlings und stattete den Hammels kurzerhand einen Besuch ab. „Ihr Sohn darf doch nicht Traubenpicker werden!“, versuchte er den Vater zu überzeugen, doch das Donnerwetter nach dem einmischenden Besuch war groß und Christoph Hammel musste wieder zurück nach Klosterneuburg. Über diese Konsequenz ist er heute natürlich froh – und wir auch. Denn sonst müsste die Weinszene auf einen ihrer lebendigsten Protagonisten verzichten.

 

Christoph Hammel blieb nicht nur in Wien und studierte, sondern er lernte auch auf Wienerisch zu fluchen („Oida – geh scheiß´n!“) und griff das Leben mit beiden Händen. „Ich war auf jedem Falco-Konzert, bei Hansi Lang, in jedem Off-Theaterstück und war als Piefke in der Wien-Szene der 80er unterwegs“, ist er heute heilfroh. „Die Stadt hat sich damals neu erfunden. Und ich war mittendrin.“ Wien hat sein Leben geprägt und wenn man etwas Zeit mit ihm verbringen darf, entdeckt man so manches Utensil, das auf diesen Part seiner Vergangenheit blicken lässt – nicht nur sprachlich. So baut er zum Beispiel Grünen Veltliner an und an dem Fass, in dem der Veltliner gerade heranreift, hängt ein Portrait von Romy Schneider als Kaiserin Sissi.

Klar, dass es auch einen Wein mit dem Namen Sissi & Franz gibt, oder? Und natürlich kommt der wie die Sissi lieblich daher. Für den Wein hat Christoph Hammel Müller-Thurgau („Deutschlands unterschätzteste Sorte“), Silvaner und Scheurebe zu einem animierenden Spaßwein vereint, der sich unglaublich saftig mit ausladender Frucht und einem feinen Fruchtüße-Säurespiel zeigt. Überhaupt hat Christoph Hammel keine Angst vor Restsüße – im Gegenteil. Schließlich will er Weine fürs Herzen produzieren. Und provozieren, aber immer mit einem Augenzwinkern. Als er im Jahr 2015 die Idee hatte, die Liebfrauenmilch neu aufzulegen, stieß er bei Kollegen nicht nur auf positive Resonanz: „Alle haben mir abgeraten, Liebfrauenmilch zu machen“, berichtet er. Schließlich hat die Liebfrauenmilch den Ruf des deutschen Weines international nachhaltig ruiniert. Doch Christoph Hammel hatte eine Vision und produzierte erstmal 800 Flaschen für die ProWein 2016, um zu gucken, wie der Wein in der Szene ankommt.

Selten wurde die Einführung eines Weines so heiß diskutiert, doch inzwischen wird der Wein extrem gehypt. Christoph Hammel weiß halt, wie´s geht. Er entwickelte eine super-saftige Cuvée aus Müller-Thurgau, Silvaner, Kerner und Scheurebe, baute diese lieblich aus und verpasste seiner „Liebfrauenmilch“ ein schickes Etikett. A star was born – zwar nicht trocken, aber weit weg von süß, mit enormem Spaßfaktor. Inzwischen gibt es auch eine Premium-Variante des Weins, dessen elegantes Etikett eine schwarze Madonna ziert und der sich im Glas mit extrovertierter exotischer Frucht sowie am Gaumen mit einem ganzen Obstkorb gelber reifer Früchte präsentiert. Dazu schön knackige Säure. Sehr finessenreich mit langem Nachhall.

„Früher war Liebfrauenmilch so teuer wie Yquem“, erinnert Christoph Hammel an die guten Tage der einstiegen Weinikone. Sie galt um 1900 als einer der besten Weine aus Deutschland und war zu Zeiten Queen Victorias der Star am englischen Königshof. Ursprünglich stammt die Liebfrauenmilch aus den Weinlagen der Wormser Stiftskirche Liebfrauenkirche, doch der Begriff wurde später auf alle Rheinweine ausgedehnt und die Herkunft somit verwässert. Die Weine aus der historischen Einzellage Liebfrauenstift-Kirchenstück zählten zu den besten und teuersten der Welt. Bis der einstige Spitzenwein zu einer billigen, süßen Massenware einfachster Qualität verkam. Für Christoph Hammel war es an der Zeit, die einstige Ikone wieder aufleben zu lassen, und der Erfolg gibt ihm Recht. Kein Wunder also, dass eines Tages eine Anfrage von Lidl kam, eine Sonderedition für den Discounter aufzulegen. Im Preis drücken lässt sich Christoph Hammel aber nicht: „Ich will für den Wein haben, was er verdient“, berichtet der Pfälzer. Und so steht die 2018 Liquid Love Edition der Liebfrauenmilch heute für 6,99 Euro im Regal.

Christoph Hammel macht in der 8. Generation Wein und erzählt mit Stolz von den Generationen vor ihm, für die der Wein ebenfalls an erster Stelle stand. „Mein Großvater war ein Do-Mann, der nach dem Krieg unfassbar erfolgreich war“, berichtet er. „Er hat eine Million Flaschen Portugieser gemacht.“ Früher hat es in dieser Gegend nur Rotwein gegeben, vor allem Portugieser war damals en vogue. Die Vorbilder suchte sein Großvater in Frankreich und somit war die ganze Familie frankophil eingestellt. Noch heute deutet der Weingutsname Hammel & Cie. auf die französische Verbundenheit hin. „Cie.“ war früher die Abkürzung für Compagnie und beschreibt die klassische Handelsgesellschaft. „Uns hat es immer rausgezogen“, erzählt Christoph Hammel, der selbst nach seiner Ausbildung noch einige Zeit in Südafrika verbrachte. Auch eine Station, die ihn sehr geprägt hat.

Der Keller wurde übrigens 1840 von Emil Hammel gebaut und die Fässer, in denen der Wein ausgebaut wird, sind zum Teil mehr als 120 Jahre alt. Die Familiengeschichte der Hammels ist ein Protokoll deutscher Weingeschichte; spannend, was Christoph Hammel zu berichten hat. Er trägt sein Herz auf der Zunge, redet ohne Punkt und Komma – über alles, was ihm geraden in den Sinn kommt. Zeit mit ihm zu verbringen ist lehrreiches Intensivtheater. Doch Christoph Hammel ist allürenfrei, an Punkten hinreißend komisch, aber zu keiner Zeit oberflächlich, eher ernsthaft mit großer Tiefe, um sich im nächsten Moment über einen guten Witz oder eine selbsterzählte Anekdote kaputtzulachen. Und genau so sind seine Weine, die zu Recht eine Auszeichnung nach der anderen einheimsen. Facettenreich, modern, schillernd und tiefgründig.

Dieses Interview stammt aus der Ausgabe 2/2020 der Meiningers Weinwelt (Text: Ilka Lindemann) und wurde uns für Sie zur Verfügung gestellt.